Editorial: Blickwechsel

Revenge von Coralie Fargeat (Frankreich, 2017)

Ein Hubschrauber landet mitten in der Wüste vor einer stylishen Luxusvilla. Poppige Farben. Aus dem Cockpit steigt Jen, Lolli im Mund, spärlich bekleidet. Lasziv stolziert sie durchs Bild. Die Kamera klebt an ihrem Hintern. Ein ziemlich billiges Girl, das ein romantisches Weekend mit seinem steinreichen, anderweitig verheirateten Freund geniessen will. Dumm ist sie wahrscheinlich auch noch. Schnell haben wir uns ein Bild gemacht, mit wem wir es hier zu tun haben.

Dann aber reisst Regisseurin Coralie Fargeat das Steuer herum: Jen mutiert in diesem atemlosen Rape-Revenge-Thriller zur Superwoman, die ihre Vergewaltiger gnadenlos durch die Wüste jagt. Wir fiebern mit und denken uns: Respekt! Im Visier der Kamera ist jetzt der gestählte, gequälte Oberköper ihres Beaus. Spielerisch und gekonnt demonstriert Fargeat in Revenge die Macht von Stereotypen, Blicken und Blickwechseln.

Women Make Horror! Unsere Anthologie des Frauenhorrorfilms bietet 16 weibliche, neue Blicke auf ein bisher männerdominiertes Genre.

Auch unsere anderen Programme und Specials drehen sich um die Fragen nach dem Blick und dem Blickwinkel. Douglas Sirk etwa, dem wir eine facettenreiche, vom Locarno Film Festival übernommene Retrospektive widmen, hält in seinen grossen, stilisierten Melodramen als deutscher Immigrant der US-Gesellschaft der Fünfzigerjahre einen Spiegel vor. Eine Einladung zur Identifikation und kritischen Distanz zugleich, mit der Sirk die Risse im American Way of Life enthüllt.

Den dokumentarischen Kontrapunkt dazu setzt unsere Ruth-Beckermann-Werkschau. Wie eine Flaneurin durch Raum und Zeit lässt sich die österreichische Filmemacherin auf ihren Reisen unvoreingenommen von den verschiedensten Begegnungen leiten und überraschen. Es ist ein lustvolles wie ehrliches Entdecken, an dem sie das Publikum teilhaben lässt: Sei es, dass sie sich mit Sissi auf die Suche nach dem Orient begibt, über eine papierene Brücke in die eigene Vergangenheit blickt oder, wie unlängst in Mutzenbacher, Männer auf die Couch holt, um sie mit Erotikliteratur und ihrem eigenen Begehren zu konfrontieren.

Ob Horrorfilm, Weepie oder dokumentarische Reise: Genau hinschauen, erneut hinschauen, anders hinschauen eröffnet neue Perspektiven und Erkenntnisse. Machen Sie sich also Ihr eigenes Bild von unserem Programm voll lustvoller Blickwechsel. Die erste Abendvorstellung findet übrigens neu um jeweils 18.30 Uhr statt, damit es mit dem Kino nach der Arbeit nicht so stressig ist.

Nicole Reinhard

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