Black Light

Die diesjährige Retrospektive des Filmfestivals Locarno widmete sich unter dem Titel «Black Light» dem internationalen Black Cinema, zeigte aber nicht nur Filme von Schwarzen. Das Filmpodium zeigt mehrheitlich Filme, die in Locarno zu sehen waren. Einzelne Filme wurden gegen andere Raritäten ausgetauscht, die im Schein des «Black Light» hier erstmals zutage treten. Eine Programmübersicht finden Sie auf unserer Webseite.

Kurator Greg de Cuir Jr schildert in unserem Programmheft die Überlegungen, die ihn bei Auswahl und Zusammenstellung der Filme geleitet haben – das können Sie online hier nachlesen.

Den Round Table zur Retrospektive in Locarno mit den Gästen Alice Diop, Christopher Harris, Isaac Julien, Mark Nash, Janaina Oliveira, Euzhan Palcy und Yolande Zauberman, moderiert von Michael B. Gillespie, kann man hier online nachschauen.

In der WOZ vom 18. Juli 2019 (Nr.29/2019) hat Franziska Meister einen wunderbaren Artikel über die Retrospektive in Locarno geschrieben, den wir hier mit Erlaubnis der Autorin wiedergeben dürfen. Herzlichen Dank!

Subversive schwarze Perlen und Ikonen

Mit «Black Light» ist in Locarno eine starke Retro zu sehen, die das schwarze Kino aus dem identitären und ästhetischen Ghetto holt. Ein Versäumnis ist trotzdem zu beklagen.

Was haben Quentin Tarantino und Jim Jarmusch in einer Retrospektive über Black Cinema verloren? Mit knapp fünfzig Filmen will Locarno heuer das schwarze Filmschaffen des 20. Jahrhunderts feiern – und zeigt in diesem Rahmen über ein Drittel Werke von weissen, überwiegend männlichen RegisseurInnen. Man wolle, lässt das Festival verlauten, über das Konzept von Schwarz als identitäre oder soziale Kategorie hinausgehen und diesbezügliche Erwartungen des Publikums nicht einfach «beflügeln», sondern «erschüttern», ja «auf den Kopf stellen». Eine kalkulierte Provokation also?

Der für die Retro verantwortliche Künstler Greg de Cuir Jr ist ein erfahrener Kurator schwarzer Filmkunst und kämpft seit langem dagegen an, schwarze Filmschaffende und deren Werke in ästhetische und kulturelle Ghettos zu drängen. Wenn er seine Retro in Locarno als «polyfon» bezeichnet, so will er damit zweierlei zum Ausdruck bringen: Zum einen beinhaltet sie «Meilensteine von Kulturen und Menschen, die ihre afrikanische Herkunft teilen, doch in verschiedenen Regionen dieser Welt unterschiedliche Erfahrungen gemacht und unterschiedliche Identitäten geformt haben». Zum anderen verweigert er sich nicht nur der Beschränkung auf schwarze Körper vor und hinter der Kamera, sondern vor allem dem Autorenkino, das er als überholt betrachtet, weil es aus hegemonialer Perspektive spricht. In seiner Retro sollen Filmschaffende und ihre Werke in einen Dialog untereinander treten und sich endlich auf Augenhöhe begegnen können.

  • Within Our Gates (Oscar Micheaux, USA 1920)
  • Illusions (Julie Dash, USA 1982)
  • The Blood of Jesus (Spencer Williams, USA 1941)
  • Strange Victory (Leo Hurwitz, USA 1948)
  • No Way Out (Joseph L. Mankiewicz, USA 1950)
  • Orfeu Nego (Marcel Camus, Brasilien/Frankreich/Italien 1959)
  • The Cool World (Shirley Clarke, USA 1963)
  • La Permission (Melvin Van Peebles, Frankreich 1968)
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Schweizer Filmförderung: Connect to (digital) reality

Am Locarno Festival fanden verschiedene Gespräche und Workshops statt, bei denen der Stand des Schweizer Films und seine mögliche Verbesserung diskutiert wurden. Der «Frame»-Artikel wurde von der Branche als Anstoß für die Debatte, aber auch als Stein des Anstoßes angesehen. Als interessierter Filmfachmann – nicht als Vertreter einer städtischen Förderinstanz – war Michel Bodmer, der stellvertretende Leiter des Filmpodiums Zürich, eingeladen, am ersten Workshop der Initiative «Connect to Reality» teilzunehmen. Hier können Sie das offizielle Schlusscommuniqué der Veranstaltung sowie einige Nachgedanken von Michel Bodmer lesen.

Bildnachweis: pardo.ch
Bildnachweis: pardo.ch

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Ulrich Gregor über Iluminacja (1973)

Der deutsche Filmhistoriker Ulrich Gregor war 1973 Teil der Jury am Festival del Film Locarno, die Krzysztof Zanussis Film Iluminacja mit dem Pardo d’oro ausgezeichnet hat. Im Rahmen der Programmreihe «70 Jahre Filmfestival Locarno» zeigt das Filmpodium Zürich Zanussis Gewinnerfilm, am Dienstag, 2. Mai in Anwesenheit des Regisseurs.

Hier dürfen wir Ulrich Gregors Text über seinen Aufenthalt in Locarno und seine Eindrücke von Zanussis Film publizieren.

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Still aus Iluminacja

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Wer war der Teufel, der nachts kam?

"Nachts, wenn der Teufel kam" BRD 1957 Margaret Jahnen, Mario Adorf
«Nachts, wenn der Teufel kam» / BRD 1957 Margaret Jahnen, Mario Adorf

Welchen Stellenwert hat ein Mörder in einem Staat, der selber nach Belieben meuchelt?

1957, als Robert Siodmak aufgrund eines «Tatsachenberichts» von Will Berthold seinen Film Nachts, wenn der Teufel kam als Abrechnung mit dem Dritten Reich drehte und das heimliche, hocheffiziente Morden der Gestapo dem Treiben eines tumben Triebtäters gegenüberstellte, galt Bruno Lüdke als größter deutscher Massenmörder (heute: Serienmörder) aller Zeiten. «Wer war der Teufel, der nachts kam?» weiterlesen

Jason Mekas vs. Jonas Bourne und meine Grossmutter

Jonas-Mekas

Meine Grossmutter Frieda Henggeler-Scherer drehte in den 20er und 30er Jahren 16-mm-Filme. Da sie in Fernost lebte und später auch Anlässe wie die Landesausstellung und die Olympischen Spiele in St. Moritz besuchte usw., ist das Material von einigem Interesse. Formal allerdings ist es nichts Besonderes. Da sie «point-and-shoot»-mässig drehte und viele Einstellungen blosse Sekundenbruchteile umfassen, sprachen wir, als wir das digitalisierte Material sichteten, daher despektierlich von einem «animierten Fotoalbum», ohne zu ahnen, dass unsere Grossmutter eigentlich Avantgardistin gewesen war.

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