Editorial: Impflich ausgegangen?


Alain Delon in Plein soleil (René Clément, FR/IT 1960)

Die Wiedereröffnung der Kinos im April hat nicht nur die Branche gefreut; unser Publikum ist ebenfalls mit Begeisterung und unerschütterlicher Treue zurückgekehrt – vielen Dank! Tatsächlich haben die endlich vorhandenen Impfstoffe und deren schnelle Anwendung zu einer Entspannung der Lage geführt, sodass hoffentlich keine weitere Welle der Pandemie zu Shutdowns führt und den sich aufrappelnden Kulturbetrieb wieder abwürgt.

Unser Sommerprogramm haben wir jedenfalls mit viel Optimismus und noch mehr Filmen ausgestattet. Neben über 30 kurzen und langen Werken von Jean-Luc Godard, die wir aus der Corona-Zwangspause gerettet haben, stehen fünf weitere Schwerpunkte an:

«Editorial: Impflich ausgegangen?» weiterlesen

Editorial: Programm-Plandemie

The Man Who Wasn’t There (Joel Coen, Ethan Coen, USA/GB 2001)

Im Dezember 2020 dachten wir noch, dass die zweite Welle der Covid-19- Chose bald verebbe und uns wieder ein regulärer Kinobetrieb erlaubt sei. Dank Virus-Mutanten und Corona-Ignoranten sind die Zahlen dann jedoch wieder hochgeschnellt, und alles hat sich verzögert.

Wie andere, die kulturelle und sonstige Veranstaltungen planen, haben auch wir immer neue Szenarien entworfen, um den ständig wechselnden Zeithorizonten für die Wiedereröffnung gerecht zu werden, die sich diffus abzuzeichnen schienen. Zwei Prinzipien leiteten uns dabei: inhaltlich möglichst wenig von dem Programm der Monate Dezember bis Februar, das bereits rechtlich abgeklärt und bezahlt war, zu opfern und möglichst im Mai/Juni zu einer regulären Programmstruktur zurückzukehren. Der Zeitraum für die «Pufferprogrammierung» bis Mitte Mai schwand aber zusehends, sodass wir gezwungen waren, das Stummfilmfestival auf Anfang 2022 zu verschieben und die verbliebenen Godard-Filme in den Sommer zu verpflanzen. «Editorial: Programm-Plandemie» weiterlesen

Todd Solondz über Storytelling

English text below

Statt Filmen auf der unserer Kinoleinwand wollen wir Ihnen während der Corona-Kinopause online andere Aspekte der Filmkultur vermitteln

Nachdem zwei Gespräche mit Hal Hartley und David Lynch über Mulholland Drive den Anfang gemacht haben, geht es weiter mit einem Interview mit Todd Solondz anlässlich der Premiere von Storytelling in Cannes (2001). 

Michel Bodmer, stellvertretender Leiter des Filmpodiums Zürich, schreibt:
Im Januar/Februar 2020 zeigten die Kolleginnen und Kollegen vom Cameo Winterthur vier Filme von Todd Solondz, «Enfant terrible des US-amerikanischen Kinos». Einer, der dabei fehlte, war Storytelling (2001), sein besonders beklemmendes Diptychon über Sex, Rassismus, Promi-Kult und Ausbeutung und die Geschichten, die wir (über) uns erzählen. Beim Gruppengespräch darüber in Cannes erwies sich Solondz als sehr witziger und selbstironischer Filmautor, dessen Vorstellungen von einer Komödie allerdings nicht unbedingt massentauglich sind.

Storytelling findet man online auf Amazon Prime.

Michel Bodmer, deputy director of Filmpodium, writes:
In January/February 2020, our colleagues at Cameo Winterthur screened four films by Todd Solondz, «the enfant terrible of US cinema». One title that was missing was Storytelling (2001), his particularly upsetting diptych about sex, racism, the cult of celebrity, exploitation and the stories we tell (about) ourselves. At the round table in Cannes, Solondz proved to be a very funny and self-ironic filmmaker, whose idea of what constitutes a comedy is not exactly mainstream.

Storytelling is online on Amazon Prime.

David Lynch über Mulholland Drive

English text below

Statt Filmen auf der unserer Kinoleinwand wollen wir Ihnen während der Corona-Kinopause online andere Aspekte der Filmkultur vermitteln

Nachdem zwei Gespräche mit Hal Hartley letzte Woche den Anfang gemacht haben, geht es weiter mit einem Interview mit David Lynch anlässlich der Premiere von Mulholland Drive in Cannes (2001). 

Michel Bodmer, stellvertretender Leiter des Filmpodiums Zürich, schreibt:
«Ich hatte bereits dreimal das kuriose Vergnügen, den «Jimmy Stewart from Mars» zu interviewen, wie Mel Brooks einst David Lynch treffend genannt hat. Bei Mulholland Drive (2001) war es im Rahmen eines Gruppengesprächs in Cannes, bei dem er auf seine bodenständig-freundliche Art Antworten gab, die meist so schwer greifbar waren wie die Ideen, die Lynch «wie Fische» durch den Kopf schwimmen.»

Michel Bodmer, deputy director of Filmpodium, writes:
«I have already had the curious pleasure of interviewing «Jimmy Stewart from Mars» (as Mel Brooks once aptly dubbed David Lynch) three times. For Mulholland Drive (2001), it was at a round table in Cannes, where the answers he gave in his friendly down-to-earth manner tended to be as slippery and elusive as the ideas that swim «like fish» through Lynch’s mind.»

Online-Angebot für die Corona-Pause // Filmpodium’s online offer for the Corona-enforced hiatus

English text below

In der Corona-Kinopause, die sich wohl bis in den Mai erstrecken wird, kann das Filmpodium seine angestammte Aufgabe, klassisches Filmschaffen zu präsentieren, nicht erfüllen. Das Opernhaus und andere Live-Institutionen können online immerhin eigenen Content anbieten. Andere Kinos, die das heutige Filmschaffen zeigen bzw. gezeigt hätten und jetzt die Filme als Kino-on-Demand-Angebot streamen, haben mit den Verleihern entsprechende Vereinbarungen getroffen. Sie sind auch finanziell beteiligt, wenn sie mit Plattformen wie Cinefile, Artfilm, Filmingo u. ä. bei der Präsentation des aktuellen Kinoangebots zusammenarbeiten.

Das Filmpodium kann da nicht mitziehen: Für die Filme, die wir zeigen bzw. gezeigt hätten, haben wir nur die Rechte für einzelne Kino-Vorführungen erworben; andere Rezeptionsformen können wir nicht anbieten. Außerdem können die Rechteinhaber uns in nur ca. 50% der Fälle auch Vorführmaterial zur Verfügung stellen; die andern 50% kommen von Archiven, Sammlern usw. Weder Filmkopien noch DCPs sind für Streaming geeignet. Und schließlich erfordert Streaming eine ganz eigene Server-Infrastruktur, die wir nicht haben.

Ein Online-Klassiker-Ersatzprogramm («Greatest Hits» oder ähnlich) ist leider auch keine Option: Die Klassiker-Rechte für VoD liegen meist bei anderen Ansprechpartnern als die Kinorechte und müssten zusätzlich erworben werden – sofern überhaupt Klassiker im Streaming-Angebot sind. Angesichts der geringen Nachfrage gibt es da kaum einen Markt.

Filmschaffende statt Filme

Statt Filmen wollen wir Ihnen deshalb online andere Aspekte der Filmkultur vermitteln. In meiner rund 35-jährigen Tätigkeit als Filmkritiker habe ich Dutzende von Interviews mit Filmschaffenden aus aller Welt und verschiedener Generationen geführt, teils in Form von sogenannten round tables bzw. Gruppeninterviews mit anderen Journalistinnen und Journalisten, teils in Form von one-on-ones bzw. Einzelinterviews. Manche dieser Gespräche drehen sich hauptsächlich um einen bestimmten Film, sind aber oft von breiterem und nachhaltigem Interesse. (Und ja, manche dieser Interviews würde ich heute wohl etwas anders führen, aber man lernt eben nie aus.) Von der Tonqualität sind diese teils über 30 Jahre alten Aufnahmen unterschiedlich; die Fragen versteht man in der Regel weniger gut als die Aussagen der Interviewten, die denn auch wichtiger sind. In einzelnen Fällen können die Gespräche mit Transkripten ergänzt werden.

Wir hoffen, dass Sie trotz dieser Einschränkungen an den Gesprächen, die wir Ihnen nach und nach als Podcasts zum Privatgenuss anbieten, Gefallen finden. Die Rechte an der Reproduktion (auch in Auszügen) und der Weiterverbreitung (geschweige denn «viral» …) sind vorbehalten.

Michel Bodmer

Hal Hartley

Im letzten November/Dezember-Programm widmeten wir dem amerikanischen Filmemacher Hal Hartley eine Retrospektive. Kurz darauf lancierte er eine Crowdfunding-Initiative, um sein nächstes Filmprojekt, Where to Land, auf die Beine zu stellen. Die Anschubfinanzierung kam – dank eines Schlussspurts von Spenden – im Januar zustande, das Casting war vielversprechend (darunter Mitglieder seines Stamm-Ensembles wie Elina Löwensohn, Bill Sage und Edie Falco), doch dann wurde die Produktion wegen des Virus auf Eis gelegt.

Im Sinne einer Rückschau und Ergänzung dessen, was bei uns zu sehen war, bieten wir ein Gruppengespräch zu seinem «monster movie» No Such Thing (2001) an sowie ein Einzelgespräch zu The Girl from Monday (2005).

Filmpodium’s online offer for the Corona-enforced hiatus

During the coronavirus lockdown, which will probably last well into May, Filmpodium will not be able to fulfil its core mission of presenting classic cinema. The Zurich Opera House and other venues that produce shows can at least offer some of their own content online. Commercial cinemas that screen or would have screened the latest films are now streaming some of these titles as cinema-on-demand offerings, based on special agreements with the distributors. They share in the profit if they co-operate with VoD platforms such as Cinefile, Artfilm, Filmingo et al. in presenting current cinema online.

Filmpodium cannot follow suit: We only acquire rights for individual theatrical screenings of the films we present or would have presented in our programme; we cannot offer other modes of reception. Furthermore, in only about 50 per cent of cases do the rights holders provide us with screening material; the other 50 per cent come from archives, collectors, etc. Neither film prints nor DCPs are suitable for streaming. And finally, streaming requires a dedicated server infrastructure, which we do not have.

Unfortunately, a substitute online program of movie classics («Greatest Hits» or the like) is not an option either: VoD rights to classic films are usually held by different companies than the theatrical rights and would have to be purchased additionally – if these classics are available for streaming at all: Due to the low demand for such titles online there is hardly a market for this sort of programming.

Not films, but filmmakers

Instead of films, which you can stream on many different platforms, we want to provide you with other aspects of cinema. In my 35 years of working as a film critic, I have conducted dozens of interviews with filmmakers, actors etc. from all around the world and from different generations, partly in the form of so-called round tables with other journalists, partly in the form of one-on-one interviews. Some of these interviews focused on a specific film, but they are often of broader and lasting interest. (And yes, I would probably conduct some of these interviews a little differently today, but you never stop learning.) The sound quality of these recordings, some of which are more than 30 years old, is uneven; the questions are usually less intelligible than the statements of the interviewees, which are more important. In some cases, the audio interviews will be supplemented with transcripts.

Despite said limitations, we hope that you will enjoy these conversations, which we will gradually roll out as podcasts for your private enjoyment. The rights of any form reproduction (even in part) or further dissemination (let alone «viral»…) of these recordings are reserved.

Hal Hartley

In our last November/December programme, we dedicated a retrospective to the US filmmaker Hal Hartley. Shortly afterwards, he launched a crowdfunding campaign to fund his next film project, Where to Land. The seed money was raised by January – thanks to an eleventh-hour spurt of donations; the casting was promising (including members of his regular ensemble such as Elina Löwensohn, Bill Sage and Edie Falco), but then production was put on hold because of the virus.

In the spirit of looking back and complementing what we saw, we offer a round-table discussion of his «monster movie» No Such Thing (2001) as well as a one-on-one talk about The Girl from Monday (2005).