Editorial: La connexion française

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In unserem Mai/Juni-Programm kämpfen zwei gegensätzliche Filmschaffende um die Gunst des Publikums: Agnès Varda vs. William Friedkin. Der Kontrast könnte grösser kaum sein: In dieser Ecke die zierlich-feinsinnige Belgierin mit dem Topfhaarschnitt, die zu den Wegbereiterinnen des französischen Autorenfilms zählt; ihr gegenüber der sechs Fuss grosse, sonnenbebrillte Hollywood-Actionfilmer, der Film als kollaborative Kunstform auffasst und die Auteur-Theorie als «Bockmist» betitelt. Auf den ersten Blick also eine Paarung, die nicht nur unterschiedliche Segmente unseres Publikums anspricht, sondern geradezu unvereinbar scheint.

Bei näherem Hinsehen jedoch revidiert sich dieser erste Eindruck. Varda, die am 30. Mai 90 wird, ist nur sieben Jahre älter als Friedkin, gehört also derselben Generation an. Beide waren Einzelgänger am Rande cineastischer Strömungen – Nouvelle Vague bzw. New Hollywood – und wechselten zwischen dokumentarischen Formen und Spielfilmen hin und her. Gemeinsam ist ihnen darüber hinaus eine ungeheure Neugier: Die Bildersammlerin Varda erkundet mit ihrer rastlosen Kamera die Welt, während sich Friedkin akribisch in jedes Milieu, jede Epoche und jedes Geschäft einarbeitet, in denen er seine Fiktionen ansiedelt und mit der Handkamera einfängt. Bei der Schauspielerführung brillieren beide, wobei Varda ein familiäres Verhältnis zu ihrer Besetzung pflegt, Friedkin jedoch für seinen ruppigen Umgang auf dem Set immer wieder kritisiert wurde. Wichtig ist beiden auch das Theater: Bei Varda dringt Theatralik im Dokumentarischen ebenso durch wie in der Kino-Hommage Les cent et une nuits de Simon Cinéma, und sie bevorzugt Schauspielerinnen und Schauspieler, die von der Bühne kommen. Der junge TV-Dokumentarfilmer Friedkin wiederum war begeistert von Harold Pinters «The Birthday Party» und adaptierte in der Folge nicht nur dieses beklemmende Stück, sondern weitere Kammerspiele. Und beide zeigen viel Witz, wenn auch Friedkins Humor klar schwärzer ist. Der Ami ist übrigens äusserst frankophil: Er war nicht nur ein Fan der Nouvelle Vague und hat mit seinem Sorcerer eine Hommage an Clouzots Le salaire de la peur inszeniert; er war auch mit Jeanne Moreau verheiratet (Trauzeuge: Alain Resnais), die ihn zum lebenslangen Fan von Marcel Proust machte.

Wenn Sie also dachten, dass nur eine der beiden aktuellen Filmreihen Sie interessiere, schauen Sie doch auch bei der andern mal rein. Aber keine Angst; wir erwarten wirklich nicht, dass Sie sich alles ansehen …

Michel Bodmer

 

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