Editorial: Nicht jetzt, nicht alles

Dia_Deneuve_Dorleac_1366x768px1981 brachte der Schweizer Konzeptkünstler Dieter Meier den Film Jetzt und alles heraus, dessen Titel eine Parole der Punk-Generation aufgriff: Wenn schon «no future» absehbar war, dann musste das volle Leben «subito» her.
36 Jahre später ist «jetzt und alles» da, zumindest in der Welt der Medien: Digital Natives mussten nie lernen, auf etwas zu warten oder zu planen, denn alles, was sie sehen und hören wollen, ist mit einem Fingertippen subito auf ihrem Smartphone.
Entsprechend haben sich Hör- und Sehgewohnheiten bei den heutigen Unter-30-Jährigen verändert: Die meisten unterwerfen sich nie den Programmstrukturen irgendwelcher Institutionen; sie meiden Veranstaltungen, die nicht nur ihre Community bedienen; sie wählen individuell aus, was sie wann konsumieren wollen. Da das Medien- und Veranstaltungsangebot auch in der realen Welt inzwischen unübersichtlich gross geworden ist, gehen U30er nur noch selten ins Kino und wenn, dann spontan und nur in Filme, die gerade aktuell und im Gespräch sind.
Das Filmpodium zeigt grundsätzlich nicht alles, sondern Ausgesuchtes und Erlesenes. Es ist nicht tagesaktuell und sein Programm ist auf gut sechs Wochen hinaus präzis geplant und absehbar. Bei uns läuft nicht das Neueste und Lauteste; vielmehr zeigen wir hauptsächlich klassische Filme, die wiederzusehen oder wieder zu sehen sich lohnt. Im kommenden Programm gilt dies etwa für die restaurierten Werke des alten Schweizer Films, der nicht nur formal und inhaltlich neu bewertet werden will, sondern auch als historisches Zeitdokument von Belang ist. Und es gilt dies nicht minder für die ersten Filme von Catherine Deneuve, die den Vergleich mit ihrer leider früh verstorbenen, ebenfalls hoch talentierten Schwester Françoise Dorléac gestatten.
Die Digital Natives wollen wir indes nicht völlig ignorieren. Auch sie dürften sich bei uns wohlfühlen, wenn das Filmpodium David Lynchs Twin Peaks am Vorabend der Fortsetzung dieser legendären Serie mit einem Event würdigt. Und wenn der Cineast und Aktivist Yann Arthus-Bertrand persönlich in unserem Kino sein jüngstes Projekt Human vorstellt, so kommen seine eindrucksvollen Porträts von Menschen aus aller Welt und seine spektakulären Luftbildaufnahmen auf der Leinwand allemal besser zur Geltung als auf dem Smartphone.

Ein Editorial von Michel Bodmer

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