Das Spektrum des diesjährigen Filmprogramms (15.11. bis 16.12.2018) reicht geografisch von Marokko bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten und stilistisch vom animierten Kurzfilm bis zum spielfilmlangen Mockumentary. 10 der gezeigten Werke wurden von Frauen realisiert und tatsächlich beeindrucken gerade diese ungewohnten Blicke auf die arabische Welt ganz besonders. So hat die spanisch-jordanische Aktivistin Widad Shafakoj mit 17 einen Dokumentarfilm über die jordanische U-17-Frauen-Fußballmannschaft gedreht, der viele Vorurteile über die Frau in der arabischen Gesellschaft in Frage stellt.
Der in den allermeisten Ländern gescheiterte Arabische Frühling wirkt thematisch nach: In den Filmen aus dem heute demokratischeren Tunesien, Burning Hope, Mustafa Z und Upon the Shadow, wird explizit Kritik an den herrschenden politischen und sozialen Verhältnissen geübt; in Filmen aus Ländern mit nach wie vor repressiven Regimes geschieht dies eher verschlüsselt. Oft wird die Geschichte des Films in der Vergangenheit angesiedelt oder dann in abgelegenen Gegenden. Das mindert vordergründig die Relevanz und bewahrt vor Zensur, bleibt für das einheimische Publikum jedoch als zeitkritischer Kommentar verständlich. So ist Yasmine Chouikhs Altersromanze Until the End of Time, die wir gezeigt haben, gleichzeitig eine Allegorie über Algerien als gigantischer Friedhof, in dem das freudlose Leben ein einziges Warten auf den Tod und/oder ein Geschäft mit diesem ist. Der ägyptische Film A Day for Women siedelt seine Geschichte über einen Frauentag im öffentlichen Schwimmbad in den letzten Jahren der Ära Mubarak an, aber diese Parabel über Frauenrechte ist selbstverständlich heute nicht minder belangvoll als damals.
Formal präsentiert sich das arabische Filmschaffen in dieser Festivalausgabe sehr abwechslungsreich. Neben starken, konventionellen Dramen und klassischen Dokumentarfilmen finden sich auch gewagtere Ansätze. Der Ägypter Mahmoud Kamel etwa zeichnet in Out of Order eine kaputte Zweierbeziehung, wie man sie auch im westlichen Kino noch selten gesehen hat. Und Ahmed Amer gestaltet Kiss Me Not, seine Satire über das heutige ägyptische Filmschaffen, als perfektes Mockumentary.
Interessant sind auch einige inhaltliche und biografische Grenzgänge: Arabischstämmige Filmschaffende, die etwa in Frankreich oder den Niederlanden leben, beschäftigen sich mit den Wechselwirkungen zwischen der arabischen Welt und Europa. So sucht der Halbtunesier Alex Pitstra im Dokumentarfilm Bezness as Usual nach dem richtigen Verhältnis zu seinem Vater, der nicht nur Pitstras holländischer Mutter, sondern später auch einer Schweizerin ein Kind und dann das Leben schwergemacht hat. In Vent du nord erkundet Walid Mattar wirtschaftliche und persönliche Migrationsbewegungen zwischen Tunesien und Frankreich. Und Sabine Krayenbühl und Zeva Oelbaum zeichnen in Letters from Baghdad ein Porträt der Britin Gertrude Bell, die als Zeitgenossin von T. E. Lawrence maßgeblich an der Emanzipation der arabischen Stämme und an der Gründung des Irak beteiligt war.
Um die Filme einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, haben wir dafür gesorgt, dass acht Langfilme mit deutschen Untertiteln gezeigt werden können. Diese Filme gehen nach dem Festival auch auf eine kleine Tournee durch mehrere Schweizer Städte, in Zusammenarbeit mit Cinélibre.
Michel Bodmer