Albanien im Film: Zum geschichtlichen Hintergrund der Filmreihe

Die Geschichte Albaniens ist äusserst komplex und kein kurzer Abriss kann ihr gerecht werden. Für das bessere Verständnis der Filme unserer Reihe ist es jedoch dienlich, wenigstens eine ganz grobe Orientierung zu haben, auf welche historischen Phasen und Ereignisse sich Handlungen und Motive beziehen.

Albaniens Frühgeschichte ist höchst wechselhaft; die Region gerät oft unter die Herrschaft fremder Mächte (Rom, Bulgarien, Normannen, Byzanz). Nach dem Zerfall des Byzantini­schen Reichs im 13. Jh. etablieren sich einige einheimische Fürstentümer. 1443-68 wehrt Gjergj Kas­trioti, Fürst von Kruja, genannt «Skanderbeg», die vordringenden Türken ab und ist deshalb noch heute ein Nationalheld. Nach seinem Tod aber wird das Land Teil des Osmanischen Reichs und die Mehrheit der Albaner tritt in den folgenden vier Jahrhunderten zum Islam über.

1912–1944: Unabhängigkeit und italienische Fremdherrschaft

Nach dem Ersten Balkankrieg wird 1912 ein unabhängiger albanischer Staat ausgerufen; die Grenzen ziehen 1913 jedoch die Siegermächte: Kosovo und Teile von Nordmakedonien, wo viele Albaner leben, werden zu Jugoslawien geschlagen. Erst 1922, nach den Wirren des Ersten Weltkriegs, ist Albanien wirklich autonom. Durch den Tirana-Pakt (1926/27) wird es aber immer mehr vom faschistischen Italien abhängig, obschon sich Ahmet Zogu 1928 zum König ausrufen lässt. 1939 wird Albanien von Italien annektiert und bis 1944 ist es von den Achsenmächten besetzt, gegen die sich Partisanen zur Wehr setzen.

Filme über diese Zeit: The Bride and the Curfew, The River That Never Runs Dry, Les coquelicots sur les murs, Tomka and His Friends, Things That Do Not Change

Tomka and His Friends (Xhanfise Keko, Albanien 1977)

1944–1990: Hoxha-Ära

1944 wird Albanien von der faschistischen Fremdherrschaft befreit, und der Kommunisten­führer Enver Hoxha errichtet eine Diktatur innerhalb der Vorkriegsgrenzen. Ein Bündnis mit Titos Jugoslawien zerbricht nach vier Jahren und Albanien lehnt sich an die UdSSR an. 1961 erfolgt der Bruch mit der Sowjetunion, da diese aus Sicht von Hoxha in der Zeit nach Stalin zu liberal wurde. Albanien sucht nun die Unterstützung Chinas. 1967 wird ein Religionsverbot erlassen; Albanien wird zum «ersten atheistischen Staat der Welt». Aus Angst vor einer Inva­sion isoliert sich Albanien immer mehr und lässt Hunderttausende Bunker errichten. Das Bünd­nis mit China erlahmt. 1985 stirbt Hoxha; auf ihn folgt Ramiz Alia.

Filme über diese Zeit: The Captain, Colonel Bunker, The Fall of Idols

Colonel Bunker (Kujtim Çashku, Albanien/Frankreich/Polen 1996)
Die Entwicklungen seit 1990

Ende 1990 wird in Albanien das kommunistische Regime gestürzt und es kommt zu einem Massenexodus.

Im Kosovo bildet sich 1989–1999 als Folge der Repression durch die serbischen Behörden eine albanische Parallelgesellschaft unter Führung Ibrahim Rugovas.

1991 gewinnen in Albanien die Kommunisten die ersten demokratischen Wahlen, 1992 kom­men die Demokraten unter Sali Berisha an die Macht. Nach einem Zusammenbruch der staat­lichen Strukturen als Folge gescheiterter Pyramidensysteme und gewaltsamen Unruhen im Jahre 1997 erhält Albanien nach Bemühungen der OSZE 1998 eine neue Verfassung.

Die Eskalation im Kosovo 1998/99 sorgt für eine Flüchtlingswelle nach Albanien. Serbien muss sich nach dem Kosovokrieg aus der Provinz zurückziehen. Am 17. Februar 2008 erklärt der Kosovo seine Unab­hängigkeit.

Seit 2009 ist Albanien NATO-Mitglied; seit 2014 bemüht es sich um einen EU-Beitritt.

Filme über diese Zeit: Lamerica, Tirana, année zéro, Le silence de Lorna, Magic Eye, Vergine giurata, Cold November, The Marriage, Bota

Vergine Giurata (Laura Bispuri, Italien/Schweiz/Deutschland/Albanien/ Kosovo/Frankreich 2015)

Michel Bodmer

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