Wer war der Teufel, der nachts kam?

"Nachts, wenn der Teufel kam" BRD 1957 Margaret Jahnen, Mario Adorf
«Nachts, wenn der Teufel kam» / BRD 1957 Margaret Jahnen, Mario Adorf

Welchen Stellenwert hat ein Mörder in einem Staat, der selber nach Belieben meuchelt?

1957, als Robert Siodmak aufgrund eines «Tatsachenberichts» von Will Berthold seinen Film Nachts, wenn der Teufel kam als Abrechnung mit dem Dritten Reich drehte und das heimliche, hocheffiziente Morden der Gestapo dem Treiben eines tumben Triebtäters gegenüberstellte, galt Bruno Lüdke als größter deutscher Massenmörder (heute: Serienmörder) aller Zeiten. Der geistesschwache Fuhrmann aus Köpenick wurde 1943 im Zusammenhang mit einem Frauenmord festgenommen. Leicht beeinflussbar, gestand Lüdke dem ehrgeizigen Kriminalkommissar Heinrich Franz, der sich vermutlich auch mit Ermittlungserfolgen vor der Einberufung bewahren wollte, alle Untaten, die man ihm unterschob. Selbst Himmler und Goebbels erfuhren von dem angeblich monströsen Übeltäter, lobten ihre Polizei und wollten den «unwerten Menschen» Lüdke exemplarisch bestrafen. Als jedoch ein anderer Beamter die dubiosen Methoden seines Kollegen Franz in Frage stellte, wurde die Sache peinlich und Lüdke musste verschwinden – nicht zuletzt, weil sein scheinbar unbemerktes, fast 20 Jahre langes Wüten dem Sicherheitsapparat des Dritten Reichs ein schlechtes Zeugnis ausstellte. Als 53- oder gar 84-facher Mörder wurde Lüdke kriminalbiologisch untersucht und sollte auch mit seiner mittels Gipsabguss reproduzierten Physiognomie als Paradebeispiel für den «minderwertiger Verbrechertyp» herhalten; dann verlangte Berlin, dass man Lüdke tötete. In einer experimentellen Unterdruckkammer wurde er mit einem langen, qualvollen Verfahren ermordet, ohne dass es zu einem – für die Polizei potentiell entlarvenden – Prozess und einem rechtsgültigen Urteil gekommen wäre.

Umsonst setzten sich Lüdkes Schwestern nach dem Krieg für seine Rehabilitation ein und versuchten Siodmaks Film, der Lüdke unter seinem richtigen Namen als Mörder weiter mythologisierte, zu verbieten. Erst 1994 arbeitete der pensionierte holländische Kriminalist Jan Blaauw die Akten auf und kam zum Schluss, dass Lüdke wohl keinen einzigen Mord begangen hatte – dieweil manche der am Fall beteiligten Polizeibeamten nach dem Krieg weiter Karriere machten. Erhellendes zum Thema zeigt die Dokumentation Tatort Berlin: Der Massenmörder Bruno Lüdke (2013) von Gabi Schlag und Benno Wenz.

Auch wenn er als Dokudrama über Bruno Lüdke nicht mehr herhalten kann – als Veranschaulichung der damaligen skrupellosen Machtausübung von SS und Gestapo (wie auch als spannendes, vor allem von Mario Adorf, Claus Holm und Hannes Messemer glänzend gespieltes Drama) bleibt Siodmaks Nachts, wenn der Teufel kam höchst sehenswert.

In Locarno erzählte Adorf, der am Festival mit einem Leoparden für sein Lebenswerk geehrt wurde, von seinen Erfahrungen mit Siodmak, von Zensurmaßnahmen und von seiner heutigen Einschätzung des von ihm verkörperten Lüdke.

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