Der Erste Weltkrieg hat durch die Kriegshandlungen und die Kriegszerstörungen das filmwirtschaftliche Kräfteverhältnis verändert. Im zuvor führenden Frankreich fehlten Kapital, Filmschaffende und zusehends auch die Infrastruktur, um die Produktion auf dem hohen Niveau zu halten. Deutschland erging es ähnlich, bis 1917 die militärische und politische Führung den Film als wesentliches Mittel zur Meinungsbildung einstufte und die bis dahin eher zersplitterten Strukturen der Filmwirtschaft mit der Gründung der Universum-Film-Aktiengesellschaft (UFA) bündelte. Weil die europäischen Filmproduktionsländer geschwächt aus diesem Krieg hervorgingen und die amerikanischen Filme in der entstandenen Lücke Fuss fassen konnten, entstand die bis heute andauernde marktbeherrschende Position der US-Filmindustrie.
Zugleich erhöhte sich der Kapitalbedarf mit dem (spätestens Ende der 1910er-Jahre abgeschlossenen) Übergang zum Langspielfilm als dominanter Form des Kinofilms. Um die Risiken der gewachsenen Investitionen in die Produktion abzusichern, setzte sich immer stärker die vertikale Konzentration, die Zusammenführung von Produktion, Verleih und Kinoketten in einer Firma durch. Die Übernahme der zusätzlichen Bereiche erforderte jedoch zusätzliche Kapitalien, so dass die grossen Filmfirmen in den USA rasch in die Abhängigkeit von Banken und Industriekonzernen gerieten.
So war – nach der frühen Zeit der Erfinder und Tüftler – nun auch jene der filmschaffenden Neuerer und Experimentierer abgelaufen, in Europa wie in Amerika. Finanzleute kontrollierten die Produktion, drängten auf deren Rationalisierung und Standardisierung, setzten immer stärker auf die Wiederholung von Ideen und Formen, die sich einmal als gewinnbringend erwiesen hatten. Die schädlichen Auswirkungen dieser Entwicklung machten sich zuerst in der US-Filmindustrie bemerkbar: Das Publikum verlor das Interesse an den Filmen; 1926/1927 kam es zur ersten grösseren Absatzkrise.
Eine der möglichen Antworten darauf sollte sich als folgenreich erweisen: Vor allem Warner Bros. (von einem Finanzexperten aus dem Hause Goldman Sachs & Co. beraten) setzte auf eine Allianz mit dem Elektrogiganten Western Electric. Gemeinsam griffen sie die zuvor mehrfach erfolglos ausprobierte Verbindung des «stummen» Films mit Schallplattenton auf und entwickelten sie weiter. Einer dieser Versuche, The Jazz Singer (1927), ein Stummfilm mit Gesangsnummern und einer kürzesten Dialogsequenz, wird von manchen Filmhistorikern verklärend als «erster Tonfilm» bezeichnet. Zur Legendenbildung gehört auch, dass der Erfolg dieses Films (der Eigenwerbung von Warner Bros. folgend) übertrieben dargestellt wurde.
Richtig ist aber, dass der Durchbruch der neuen tönenden Technologie nicht mehr aufzuhalten war. In wenigen Jahren vermochte sie in den USA und ab 1930 in Westeuropa den Stummfilm zu verdrängen. Doch in der Sowjetunion, in Japan und in China, Ländern, die mittlerweile zu den wichtigsten Filmproduzenten zählten, wurde noch bis weit in die 1930er Jahre «stumm» gedreht.
Vor allem aber waren die 1920er-Jahre eine Blütezeit der stummen Filmkunst. Die Filmschaffenden hatten nicht nur verstanden, dass der «Film Ausdruckskunst sein muss, dem Ballett ähnlich» (Victor Klemperer), sie hatten diese Kunst in verschiedensten Spielarten zu höchster Perfektion entwickelt. Vorwiegend expressionistisch übersteigert und abstrahiert in Deutschland zu Beginn des Jahrzehnts. Zu rasanten Montagen mit teilweise exzentrischen Darstellern in der Sowjetunion, deren Künstler nach neuen Formen für revolutionäre Inhalte suchten. Zu immer perfekterer «Natürlichkeit» in den amerikanischen Studios, die danach trachteten, die gestalterischen Elemente (wie Kamerabewegungen und Schnitt) möglichst unauffällig in den Handlungsablauf zu integrieren.
Von der Vollendung, die der Film auch ohne integrierten Ton erreicht hatte, zeugen bis heute die zahlreichen Umfragen nach den «grössten» Filmen aller Zeiten: Auf diesen Bestenlisten tauchen in schöner Regelmässigkeit Titel aus den 1920er-Jahren auf, die sich nicht nur unter Filmgeschichtsfans grosser Beliebtheit erfreuen.
Martin Girod