Die Debatte um die Debatte zum Schweizer Film

Auf – leider – kleinem Feuer geht die Diskussion um den Schweizer Film weiter; Florian Keller hat in der WoZ eine recht sarkastische Kürzestwürdigung des «Frame»-Artikels abgegeben, der Rest findet vornehmlich auf Facebook statt, vor allem auf der persönlichen Seite von Christian Jungen, die ja kaum als breit rezipierte öffentliche Plattform gelten darf – schade. Drum nochmals ein paar Nachgedanken an dieser Stelle.

Lustigerweise wird nun mein eigener Beitrag zur Debatte auch debattiert. Wohlan; ich gebe zu, dass ich ebenfalls ein paar Unschärfen in meinem Text habe. Tatsächlich wollen Jungen und Bucher die Schwelle von Succès cinéma «nur» verfünffachen bzw. auf 50 000 Eintritte erhöhen. OK, machen wir die Probe aufs Exempel eben so: In den letzten 10 Jahren (2007 bis 2016) wären gemäß Procinema-Zahlen 36 Filme in den Genuss der Erfolgsprämie gekommen, also schlappe 3,6 pro Jahr. Neben zwei echten und international anerkannten Arthouse-Filmen von Ursula Meier (L’enfant d’en haut, Home) und «Greater Arthouse»-Filmen wie La petite chambre, Vitus, Der grosse Kater, Giulias Verschwinden, Ma vie de Courgette und Der Goalie bin iig finden sich da fünf koproduzierte Werke von ausländischen Filmschaffenden (Sils Maria von Olivier Assayas, Satte Farben vor Schwarz von Sophie Heldmann, Nordwand von Philipp Stölzl, Night Train to Lisbon von Bille August, Youth von Paolo Sorrentino) und die international ausgerichteten Dokumentarfilme More than Honey und Hiver nomade; der Rest ist Unterhaltungskino (Liebling, lass uns scheiden, Der grosse Sommer, Titeuf, Usfahrt Oerlike, ’s chline Gspängst, Breakout, Achtung fertig WK!, Die Standesbeamtin) und viel – mehr oder weniger gebrochene – Swissness, wie sie Jungen und Bucher abschütteln wollen, wie sie das Schweizer Volk aber offenbar goutiert: Die Herbstzeitlosen, Heidi, Schellen-Ursli, Der Verdingbub, Sennentuntschi, Die schwarzen Brüder, Die Kinder vom Napf, Giovanni Segantini – Magie des Lichts, Akte Grüninger, Das Erbe der Bergler, Bergauf bergab, Die Wiesenberger, Tell. Michael Steiner, Markus Imboden, Xavier Koller und Alain Gsponer kann man immerhin attestieren, dass ihr Blick zurück in die helvetische Geschichte und/oder in die Berge kein unkritischer ist.

Leer ausgegangen wären bei dieser Succès-Schwelle starke Stimmen, Mavericks und Nachwuchstalente wie Sabine Gisiger, Fernand Melgar, Jean-Stéphane Bron, Lionel Baier, Simon Baumann, Yves Yersin, Silvio Soldini, Marcel Gisler, Stefan Schwietert, Mano Khalil, Peter Luisi, Jan Gassmann, Bruno Deville, Güzin Kar, Susanne Regina Meures, Samir, Séverine Cornamusaz, Pipilotti Rist, Peter Liechti, Thomas Imbach, Frédéric Mermoud und Fredi M. Murer. Wäre das besser gewesen?

Und nochmals zu Late Shift: Florian Keller wirft zu diesem Film die Frage auf, «ob und wieso ein Tech-Startup mit Kulturgeldern gefördert werden soll». Richtig; ich meine aber nach wie vor, dass es auch sinnvoll ist, sich zu fragen, in welchen Fällen das interaktive Prinzip mit einer interessanten und fördernswerten künstlerischen Aussage vereinbar ist.

Der Nachschlag von Jungen und Bucher in der gestrigen NZZ am Sonntag konzentrierte sich auf eine berechtigte Kritik an den oft papierenen Dialektdialogen im Deutschschweizer Film. Untermauert wurde diese von Pedro Lenz, der als einer der wenigen hiesigen Schriftsteller den Leuten aufs Maul schaut bzw. hört und nicht wie die meisten der mit Lokalradios großgewordenen AutorInnen aus mäßig geschriebenem Deutsch in vermeintlichen gesprochenen Dialekt übersetzt («de Maa, dee ich gsee ha» usw.). Nebenbei allerdings bricht Martin Zimper eine Lanze für Robert McKee, den Drehbuch-Guru, der leider mindestens einer ganzen Generation von (nicht nur) Schweizer AutorInnen weisgemacht hat, wenn sie eine Geschichte richtig nach Lehrbuch strukturieren, werde ein starkes Drehbuch daraus. Aber eben: Strukturierte Scheiße bleibt Scheiße; wenn die Story und die Figuren an und für sich nichts taugen, tun sie es auch in drei wohlgebauten Akten nicht, und am Finden oder Ersinnen guter Geschichten mangelt es hierzulande am meisten.

NB: Dies ist meine persönliche Einschätzung und entspricht nicht etwa der Haltung der städtischen Filmförderung. Dennoch wäre eine Diskussion auf diesem Blog des Filmpodiums zu begrüßen.

Michel Bodmer

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