Gefilmt, nicht geschrieben

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Der erste Beitrag zur Blog-Rubrik «Das Podium» stammt aus der Feder des stellvertretenden Leiters des Filmpodiums der Stadt Zürich, Michel Bodmer. Unter dem Titel «Was ist Film? Was ist Kritik» denkt er darüber nach, wie weder das Programm des Filmpodiums noch die hiesige Filmkritik sich ausreichend mit den Grenzbereichen zu benachbarten Medien – interaktive Filme und Games, Cross-, Trans- und Multimedia-Projekte – auseinandersetzen. Ich möchte hier anknüpfen und ein relativ neues Phänomen ansprechen, das sich unter dem Namen «Video Essay» im Internet etabliert hat: Filmkritik und Filmwissenschaft nicht geschrieben, sondern gefilmt.

Gilt der zum geflügelten Wort gewordene Satz “Writing about music is like dancing about architecture“ (von dem niemand so genau weiss, wer das denn eigentlich ursprünglich gesagt haben soll) vielleicht auch für den Film? «Über Film zu schreiben ist wie Töne zu filmen», oder so ähnlich. Anstatt eine Filmanalyse in Worten auszudrücken, haben einige Autoren, Kritiker und Filmwissenschaftler damit begonnen, ihre Essays nicht zu schreiben, sondern zu schneiden: „«Video Essays» und «Videographic Film Studies» sind gängig gewordene Bezeichnungen, letztere vor allem durch den überbordenden vimeo-Kanal «Audiovisualcy», den die Filmwissenschaftlerin Catherine Grant im April 2011 als Sammelplattform für cinephile, analytische Essays eingerichtet hat.“ (Pantenburg, Schlüter, 2015: 319).

Der Inhalt solcher Videoessays? Das geht von simplen Aufzählungen («wie viele Menschen sterben in Tarantinos Gesamtœuvre?») bis hin zu Gegenüberstellungen von Fellini und Antonioni oder der eher allgemeinen Frage, was David Lynchs Filme zu David-Lynch-Filmen macht. Die Beliebtheit der kurzen Analysen nimmt stetig zu. Kürzlich hat ein Video-Essay des Amerikaners Kevin B. Lee mit dem Titel «The original GHOSTBUSTERS is pretty sexist» über eine Million Zuschauer erreicht. So hat sich auch bereits ein gewisser Personenkult um verschiedene Autoren entwickelt. Nebst Kevin B. Lee gehört der Koreaner kogonada sicher zu den bekanntesten Namen in der Branche.

Catherine Grant, Dozentin an der University of Sussex, hat gemeinsam mit Drew Morton (Texas A&M University-Texarkana) und Christian Keathley (Middlebury College) 2004 die erste wissenschaftliche Zeitschrift für «Videographic Film and Moving Image Studies» einschliesslich peer review gegründet: Mit [in]Transition ist diese Form der Filmkritik und Filmanalyse nun definitiv auch im akademischen Bereich angekommen. Hierzu nochmals Volker Pantenburg: «Selbstredend ist nicht alles darunter brillant, aber ein Grossteil der Essays zeichnet sich durch einen verblüffenden Zugriff aus, der sich der Mischung aus Cinephilie 2.0 und DIY-Methoden zwischen Filesharing und Final Cut verdankt.» (Pantenburg, Schlüter, 2015: 320)

Die Zukunft der Filmkritik in Form von Video Essays – alles nur ein kurzer Spass oder eine seriöse selbstreflexive Auseinandersetzung mit dem Medium? Was denken Sie?

Laura Walde, Assistenz Social Media des Filmpodiums der Stadt Zürich

 

Referenzen:
Pantenburg, Volker, Schlüter, Stefanie, in: Medienkultur und Bildung. Ästhetische Erziehung im Zeitalter digitaler Netzwerke. Frankfurt, Campus Verlag, 2015.

Weiterführende Artikel und Beispiele:

Ein Gedanke zu „Gefilmt, nicht geschrieben

  1. Danke für den anregenden Text!
    Für allgemein gehaltene Beiträge zum Thema Film finde ich das Video-Essay absolut sinnvoll. Mittels Video-Essay kann ich via Bild das Gesagte unterstreichen, abstützen. Das funktioniert etwa mit Vergleichen (z.Bsp. eine von Hitchcock inspirierte Sequenz im Vergleich mit einer ähnlich gearteten Sequenz von Hitchcock selbst), oder mit „Werkschauen“, in welchen ich die spezifische Filmsprache eines Regisseurs herausdestillieren möchte; in diesen Fällen kann ich meine Thesen ohne viele eh‘ unzulängliche Worte direkt verdeutlichen und meine Behauptung untermauern.
    Für Filmrezensionen lehne ich diese Form ab, hier ist sie mir allzu direkt – am Ende hat man das Gefühl, den halben Film schon gesehen zu haben, vieles ist bereits verraten worden; wenn ein einzelner Film rezensiert wird, ist es ganz gut, wenn dies in der „Unklarheit“ der geschriebenen Sprache geschieht, sie lässt einigen Deutungsspielraum zu, man kann im Kino überprüfen, was der Kritiker geschrieben hat – der Film verliert nicht den Reiz der neuen Seh-Erfahrung.
    Video-Essays wie das oben angeführte Ghostbuster-Filmchen finde ich unnötig – dessen Informationsgehalt umfasst etwa drei Sätze. Es zeigt die Gefahr, welche diese neue Form beinhaltet: ausufernde Oberflächlichkeit.

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