Merci, Freddy Buache!

Wäre es nach ihm gegangen, würden Kinosäle nur über eine einzige Sitzreihe verfügen: Freddy Buache (1924–2019) sass immer ganz vorne und schien förmlich in die Leinwand eintauchen zu wollen. Das Kino füllte nicht nur sein Gesichtsfeld aus, sondern sein ganzes Leben. Martin Girod, ehemaliger Koleiter des Filmpodiums, würdigt den jüngst verstorbenen Cinémathèque-Leiter, Kritiker, Festivaldirektor und Filmvermittler.

© Cinémathèque suisse

Stirbt eine grosse Persönlichkeit, um die sich schon zu Lebzeiten Legenden gerankt haben, ist es heikel, post mortem nicht in den Chor der beweihräuchernden Gesänge einzustimmen. Hat der Verstorbene zudem selbst kräftig an seiner Überhöhung zum Denkmal mitgewirkt, kann ein nachrufendes Zurechtrücken leicht als beckmesserisch empfunden werden. Doch Freddy Buache, der am 28. Mai 2019 95-jährig gestorben ist, sein Wirken und sein gegen mannigfaltige Widerstände geschaffenes Lebenswerk bedürfen solch aufgesetzter Glorifizierung nicht. Halten wir uns daher an die Fakten; sie sind eindrücklich genug.

mit Luis Buñuel (© Cinémathèque suisse)

Kritiker und Konservator

Nein, Buache war nicht der «erste richtige Filmkritiker in der Schweiz» (wie «Le Temps» schreibt). Aber seine filmjournalistische Tätigkeit, die er mit sicherem Gespür für Qualität und Originalität Woche für Woche neben seiner Arbeit für die Cinémathèque ausübte (anfänglich auch aus finanzieller Notwendigkeit, immer aber aus Passion), machte ihn für Jahrzehnte zu einer der gewichtigsten filmkritischen und filmkulturellen Stimmen der Romandie. Viele seiner journalistischen Texte hat er später zu Büchern versammelt, und sie lesen sich noch heute mit Gewinn. Er selbst erinnerte später nur an einen Text mit einiger Verlegenheit: seinen einstigen Verriss von Godards À bout de souffle; doch wäre es wohl spannend nachzulesen, ob er dafür nicht gute Argumente hatte.

Nein, Buache war nicht der Gründer unseres nationalen Filmarchivs. Als Leute aus dem Lausanner Ciné-Club 1948 den Verein Cinémathèque suisse gründeten, stand sein Name nicht auf der Urkunde. Diese Cinéphilen retteten die Bestände des 1943 gegründeten Schweizerischen Filmarchivs, dem man in Basel die finanzielle Unterstützung entzogen hatte, indem sie sie nach Lausanne brachten; wenig später stiess der junge Freddy Buache dazu und übernahm 1951 die Leitung. Fast bei null beginnend, machte er daraus eines der grossen Filmarchive im Weltmassstab – zumindest hinsichtlich der Sammlungsbestände; die finanziellen und damit personellen Ressourcen blieben jeweils krass unangemessen.

Die Kopienbestände wuchsen dank persönlichen Beziehungen zu Regisseuren und Produzenten; nach und nach begannen auch die Schweizer Filmverleiher nach Lizenzablauf ihre Filme zu deponieren. Daneben wurden Filmfotos, Plakate, Drehbücher und Filmliteratur gesammelt; für die Kritikensammlung pflegte Buache lange Zeit eigenhändig am Wochenende die Texte aus den Zeitungen zu schneiden. So gut wie alles, das er 1996 seinem Nachfolger Hervé Dumont übergab, hatte Buache aufgebaut und ihm seinen Stempel aufgedrückt. Kein Wunder wurde diese Cinémathèque mit ihm identifiziert; sie ist sein Lebenswerk.

© Cinémathèque suisse

Vermittler internationaler Filmkultur

Buaches Beitrag zu einer lebendigen Filmkultur in der Schweiz ging während Jahrzehnten wesentlich über seine archivarische Tätigkeit hinaus. Seine Devise war: «Une cinémathèque ne doit pas être un cimetière à films.» Er versorgte Filmclubs und kulturelle Institutionen landauf landab mit Filmkopien, soweit es sein konservatorisches Gewissen erlaubte und solange die Inhaber der Urheberrechte an alten Filmen kaum Interesse zeigten. Dazu pflegte er den Austausch mit anderen Archiven und betreute später auch im Auftrag von Pro Helvetia im Rahmen des internationalen Kulturaustauschs Filmwochen mit Werken aus Ländern, die in den Schweizer Kinoprogrammen fehlten oder schwach vertreten waren.

Diese Offenheit – Zensur jeder Art war ihm zutiefst zuwider –  auch für die Kinematographien des europäischen Ostens trug wesentlich dazu bei, Buache zum «roten» Feindbild der bürgerlichen Schweiz zu machen. Wie auf dem Höhepunkt des «Kalten Krieges» der Schweizerische Lichtspieltheaterverband einen totalen Boykott jeden Meters Film aus dem kommunistischen Osten ausrief und folglich auch kein Verleiher sich traute, solche Filme einzukaufen, machte Buache den Filmclubs dank seiner guten Kontakte Werke aus den sozialistischen Ländern zugänglich. Eine Folge davon war u. a. im Januar 1961 eine – sich an einer Publikation der Cinémathèque entzündende – Polemik in der NZZ mit dem Titel «Filmarchiv auf Abwegen. Missbrauch des Instituts für kommunistische Propaganda». Wie heikel dies für die junge Institution Cinémathèque suisse war, kann man ermessen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Vorarbeiten zum Bundesgesetz über das Filmwesen vom 28. September 1962 bereits im Gange waren. In diesem sollte das Archiv ausdrücklich erwähnt und die Grundlage für eine Förderung durch den Bund gelegt werden.

mit Alain Tanner (© Cinémathèque suisse)

Festivaldirektor und Filmpodium-Förderer

Buaches Verhältnis zu den Behörden blieb lange von (gegenseitigem) Misstrauen geprägt. Seine Ängste sahen sich bestätigt, als 1968 der französische Kulturminister dem Mitbegründer der Cinémathèque française die Leitung der Institution wegnehmen wollte, eben jenem Henri Langlois, der Buaches grosses Vorbild war. Das Klima besserte sich erst, als der langjährige Stadtpräsident von Lausanne, der FDP-Politiker Georges-André Chevallaz, 1973 Bundesrat wurde; zu ihm hatte Buache einen guten Draht. (Er erzählte gerne, dass er zur Wahlfeier eingeladen war und in Ermangelung einer für ihn zutreffenden Gästekategorie unter «famille» eingereiht wurde.)

1967 bis 1970 war Buache zusätzlich auch Kodirektor (mit Sandro Bianconi) des Festivals von Locarno. Vor allem in der Deutschschweizer Presse wurde rasch schon gegen die Festivalleitung polemisiert: es sei zu links, zu cinéphil und «überhaupt kein Festival mehr» (NZZ). In Filmemacherkreisen dagegen schätzte man Buaches Neugier und seine grundsätzliche Unterstützung der Jungen (er hat u. a. Michel Soutter und Alain Tanner in die Locarneser Jurys eingeladen). Mit grossem Temperament setzte er sich für das einheimische Schaffen ein, doch zugleich war dieses Temperament auch gefürchtet: Fast jeder, der mit ihm zu tun hatte, dürfte einmal Opfer oder zumindest Zeuge eines seiner berühmten «coups de gueule» geworden sein.

Wie so viele in der Schweiz hat auch das Filmpodium der Stadt Zürich Buache Wesentliches zu verdanken: Noch bevor das Filmpodium 1983 im Kino «Studio 4» eine feste Spielstätte fand, sah Buache in den von der Stadt organisierten Filmreihen eine Chance, der Cinémathèque zu einer Präsenz in der deutschen Schweiz zu verhelfen und so ihren Status als nationales Archiv zu festigen. Umgekehrt brachte die Rolle als halboffizielle Aussenstelle der Cinémathèque dem Filmpodium einen privilegierten Zugang nicht nur zu dessen Sammlungsbeständen, sondern auch zu den Partnerarchiven im Ausland. Kaum eine der grossen Retrospektiven des Filmpodiums wäre ohne diese Partnerschaft möglich gewesen.

Martin Girod

Für die Bereitstellung der Bilder danken wir Thomas Bissegger von der Cinémathèque suisse.

@ Cinémathèque suisse
© Cinémathèque suisse

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert