Zur «No Billag»-Initiative

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Am 4. März wird in der Schweiz über die «No Billag»-Initiative abgestimmt. Die Meinungsbildung ist noch im Gange, aber leider zirkulieren viele falsche Annahmen, nicht zuletzt dank des irreführenden Titels des Volksbegehrens. Diskussion tut also not, und in unserer Rubrik «Podium» laden wir deshalb zum Austausch von Argumenten ein.

Hier ein erster Beitrag von Michel Bodmer, der lange für SRF gearbeitet hat, nun aber eine Aussenperspektive einnehmen kann.
 

Wieso «No Billag» gefährlicher Unsinn ist

von Michel Bodmer

Elementares: 

Die Initiative ist eine Mogelpackung: Es geht nicht um die Billag. Diese Firma, die im Auftrag des Bundes, aber teilweise mit gar unzimperlichen Methoden die Gebühren zuhanden von SRG und Privaten eintreibt, ist ab 2019 eh nicht mehr tätig. Die Initiative will vielmehr grundsätzlich den Betrieb und die Subventionierung von Radio- und Fernseh­anbietern durch den Bund abschaffen. Auch wenn die SRG kein Staatsbetrieb ist, die Streichung der Subventionen würde sie um fast vier Fünftel ihres Budgets bringen.

Die SRG-Gebühren werden per 2019 obligatorisch, auch für Haushalte ohne Radio- und Fernsehgerät, und werden von der Firma Serafe einkassiert, die keine Schwarzseher mehr jagen muss. Die pauschale Abgabe ähnelt einer Steuer, ist aber keine, denn die SRG ist eben kein öffentlich-rechtliches Staatsfernsehen, sondern ein Verein mit öffentlichem Auftrag. Mit dem neuen System sinken die Gebühren für Privathaushalte von 451 auf 365 Franken pro Jahr, also um immerhin gut 20 Prozent. Kleine Firmen zahlen keine Gebühr, wohl aber mittlere und größere Firmen (ab 500 000 Franken Jahresumsatz), proportional zu ihrem Umsatz.

© SRF / Lukáš Žentel
Dreh Gotthard, koproduziert von der SRG SSR / © SRF, Lukáš Žentel

Warum soll ich für etwas bezahlen, das ich nicht nutze?

Steuern und vergleichbare Abgaben an die Gemeinschaft finanzieren solidarisch Leistungen und Dienste, die längst nicht allen zugutekommen. Wer nicht Auto fährt, zahlt dennoch für Straßen und Tunnels; Kinderlose subventionieren Kitas und Schulen, Gesunde finanzieren die Krankenkassenleistungen der Ungesunden usw. Außerdem ist die SRG nicht einfach eine Ansammlung von «Radio- und Fernsehstationen», wie der Initiativtext sagt, sondern gemäß heutiger Terminologie ein «Content Provider», dessen Audio- und Videoinhalte auch online und via Dritte, also private Medienhäuser, konsumiert werden. Liefert die SRG keinen Content mehr, fehlen viele Inhalte, die private Medienunternehmen selber nicht herstellen können und – vor allem sofern sie die Schweiz betreffen – auch nirgendwo sonst beschaffen können: Die SRG ist eine der wichtigsten Triebkräfte der Schweizer Sport- und Kulturszene; Sportvereine, Fußballclubs, Musiker, Filmschaffende, Kabarettistinnen usw. aus unserem Land würden mit der SRG ihre wichtigste Plattform verlieren. Der Mehrheit des Publikums würde es zudem widerstreben, zeitaufwendig und kostenintensiv Inhalte auf anderen Sendern oder dem Internet zusammenzuklauben, die die SRG bisher frei Haus liefert, etwa den ganzen Live-Sport. Die Medienkonsumgewohnheiten der Digital Natives gelten nicht für alle; gerade ältere Menschen, die noch linear Radio hören und fernsehen, sind oft sogar außerstande, ihr Wunsch-Programm im Internet aufzuspüren.

Die Gebühren kommen außerdem nicht nur der SRG zugute; rund 80 Millionen Franken gehen an private Radio- und Fernsehsender, die dieses Geld im heutigen Medienumfeld dringend benötigen. Werden also die Gebühren und Bundessubventionen abgeschafft, geraten diverse SRG-ferne Privatsender, die gerade auch von jüngeren SRG-Gegnern geschätzt werden, ins Trudeln. 

Der Teufel hat gut lachen (Kurt Früh, 1960), restauriert vom SRF
Der Teufel hat gut lachen (Kurt Früh, 1960), restauriert vom SRF

Das «taktische» Ja

Die Initiative ist kein «Denkzettel» für die «wuchernde SRG» und wird auch nicht «ein Zeichen setzen», wie manche meinen, die aus taktischen Gründen mit Ja stimmen wollen. Wenn die Initiative durchkommt, ist die SRG nicht bescheidener, kleiner oder besser, sondern als Service-Public-Rundfunkveranstalter am Ende. Die Mathematik dahinter ist einfach; siehe die nachstehend auch als Links angegebenen Artikel von Kaspar Surber in der WOZ und von Ladina Heimgartner in der NZZ.

NZZ-Chefredaktor Eric Gujer hat dennoch am 15.12.2017 in einem Leitartikel von einer notwendigen «Kurskorrektur» bei der SRG geschrieben und sich über die hohen Gebühren dieses «Staatsmediums» echauffiert. Wenn man das Schiff SRG versenkt, indem man für «No Billag» stimmt (wie es Gujer faktisch empfiehlt), ist eine Kurskorrektur nicht mehr möglich. Was Gujer zudem – neben vielen anderen Fakten – unterschlägt: Die «Wahl der Medien», die er der Kompetenz der Bürger überlassen will, ist nicht gratis. Ein Abo für die NZZ inklusive NZZ am Sonntag (Print und Digital) kostet 836 Franken pro Jahr; damit hat man nur ein einziges tägliches Medium aus einem Verlagshaus auf zwei Vektoren, nicht eine Vielfalt von TV- und Radio-Kanälen und Online-Plattformen, wie sie die SRG bietet. Und wenn man – als Folge der «Kurskorrektur» nach rechts, die seit Gujers Amtsantritt erfolgt ist, als notwendiges Gegengift noch die WOZ abonniert, ist man bei 1100 Franken. Das entspricht dem Dreifachen der kommenden SRG-Gebühr von 365 Franken, die laut Gujer immer noch «deutlich mehr Geld» ist, als die Schweizer «sonst für journalistische Leistungen jährlich ausgeben». Damit beweist er nebenbei selbst, wie irrtümlich die Annahme ist, die Service-Public-Angebote der SRG ließen sich mit Abonnementen finanzieren.

Wilder, eine Eigenproduktion von SRF / © SRG SSR
Wilder, eine Eigenproduktion von SRF / © SRG SSR

Der Markt soll es richten

In der NZZ schrieb neulich ein Leser, eine «Bonsai-SRG» wäre genau richtig; die wichtigsten Aufgaben der SRG würden heute von SMS, Apps und den Online-Plattformen der anderen Medien übernommen. Das mag für Katastrophenalarme gelten (die dann freilich nur diejenigen erreichen, die ein Handy haben oder sonst online sind); für andere Inhalte: siehe oben. Was nicht rentiert, wird vom Markt schnell einmal nicht mehr geliefert.

Wer sich an TV3 (*6.9.1999, † 22.12.2001) erinnert, den tapferen Versuch der Tamedia, mit Hilfe der SBS Broadcasting Group selber ein Privatfernsehen mit News zu machen, weiß, dass dies in der Deutschschweiz (geschweige denn in der Romandie, im Tessin oder bei den Rumantschs) wirtschaftlich unmöglich ist. 3+, 4+, 5+, S1 u. ä. rentieren nur, weil sie großmehrheitlich austauschbare, billig eingekaufte Fremdproduktionen zeigen und sehr wenige Eigenproduktionen herstellen, schon gar keine Nachrichtensendungen. Die privaten Lokalsender wiederum haben nur die Ressourcen für regionale Berichterstattung, die selten politischen Tiefgang hat. Demgegenüber hat die SRG das Schwergewicht auf Eigenproduktionen gelegt, die denn auch ein gewaltiges Alleinstellungsmerkmal darstellen, und leistet sich neben populären Unterhaltungsprogrammen auch unbequeme Sendungen wie Kassensturz bzw. À bon entendeur und neben der täglichen News-Grundversorgung auch aufwendig recherchierte Hintergrundsendungen und -magazine wie das Echo der Zeit, die Rundschau und Temps présent. Dergleichen ist in der Deutschschweiz nicht mit freiwilligen Abonnementen finanzierbar, wie sie den Initianten offenbar vorschweben, erst recht nicht in den noch kleineren sprachregionalen Märkten.

Wenn die Gebühren gestrichen werden, verfügt die SRG nur noch knapp über ein Fünftel ihres Budgets, das sie via Werbung erwirtschaftet. Ebendiese Werbung generiert sie aber mit dem bisherigen hochstehenden, gebührenfinanzierten Programm. Fällt dieses weg, schwindet auch die Werbung und die SRG ist am Ende. Als Katastrophenszenario ist es denkbar, dass die SRG, um ihre Existenz und ihr Personal wenigstens teilweise zu retten, die Flucht nach vorn in den Kommerz antritt. Ungebunden von einem Service-Public-Auftrag und rein der Rendite verpflichtet, könnte sie im Radio und online Werbung schalten und aufgrund ihrer vergleichsweise immer noch beachtlichen finanziellen Potenz wohl 3+, Energy und andere private Anbieter schnell aus dem Feld werfen. Mit der ursprünglichen Aufgabe des öffentlichen Rundfunks hätte das freilich nichts mehr zu tun, und diese Entwicklung wäre wohl weder für das traditionelle SRG-Publikum noch für dasjenige der privaten Medien wünschbar.

Ma vie de courgette (Claude Barras, 2016), koproduziert von der SRG SSR
Ma vie de courgette (Claude Barras, 2016), koproduziert von der SRG SSR

Wieso soll die SRG nicht abgeschafft werden?

Gerade in letzter Zeit beweisen die privaten Medienhäuser der Schweiz, wie notwendig ein von Werbung und Markt weitgehend unabhängiges Medienunternehmen ist: Die NZZ ist mit der AZ Medien eine Kooperation bezüglich der Regional- und Lokalpresse eingegangen, die zu einem Abbau von Vielfalt führen wird; Christoph Blocher hat in der Zentralschweiz eine ganze Menge Gratiszeitungen gekauft und kann dort seinen Einfluss geltend machen; die Tamedia fasst die überregionale Berichterstattung ihrer Tageszeitungen zusammen und will sich bei der Goldbach Media einkaufen, also jener Firma, die seit Jahren dafür sorgt, dass Werbegelder aus der Schweiz an deutsche Privatsender fließen, die dafür keinen publizistischen Gegenwert leisten und dabei den schweizerischen Privatfernsehen das Werbewasser abgraben; Ringier schließlich hat in der Romandie unlängst L’hebdo eingestampft und achtet mit Argusaugen auf die Rentabilität der verbleibenden Presseerzeugnisse.

Die SRG bietet deshalb ein für Meinungsbildung und Demokratie wesentliches Gegengewicht, denn als Verein und öffentliches – nicht öffentlich-rechtliches – Unternehmen ist sie weder Aktionären und Werbekunden noch Politikern Rechenschaft schuldig, sondern nur der Schweizer Bevölkerung. Entsprechend der Zusammensetzung dieser Bevölkerung repräsentieren die diversen Kanäle und Sendungen ein sehr breites Spektrum von Meinungen – auch die Ansichten der Rechtskonservativen; die SVP ist nicht zuletzt dank ihrer langfristigen Übernahme der Oppositionsrolle in Sendungen wie der Arena so stark geworden.

Die göttliche Ordnung (Petra Volpe, 2017), koproduziert von der SRG SSR
Die göttliche Ordnung (Petra Volpe, 2017), koproduziert von der SRG SSR

Darf man die SRG nicht kritisieren?

Doch, man muss sogar, denn es herrscht teilweise großes Verbesserungspotential. Das haben auch Gilles Marchand und seine neue Führungscrew in Bern erkannt. Aber kritisieren kann man nur etwas, das existiert, und die Annahme der Initiative würde das verhindern.

Es ist nicht falsch, wenn die SRG über die Bücher geht und klar entscheidet, welches ihre Aufgaben sind und was man getrost andern überlassen kann. Wünschbar wäre auch, dass sie sich im Bereich Unterhaltung, Film und Serien noch stärker von der (kommerziellen) Konkurrenz abhebt und dort leistet, was der Markt allein nicht ermöglichen würde.

Geld und Geist (Franz Schnyder, 1964), restauriert vom SRF
Geld und Geist (Franz Schnyder, 1964), restauriert vom SRF

Weiterführende Artikel:
https://www.woz.ch/1743/no-billag/und-wenn-der-sprengsatz-explodiert
https://www.nzz.ch/meinung/der-stammtisch-und-die-srg-ld.1342336
https://www.edito.ch/dossiers/no-billag/
http://nonobillag.ch/

Michel Bodmer hat von 1987 bis 2013 für das Schweizer Fernsehen gearbeitet und ist seit 2014 stellvertretender Leiter des Filmpodiums der Stadt Zürich.

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